Adventskalendergeschichte

Ein Sommerabenteuer

  1. Mimi Sternenstaub, auch Engel 123 genannt, hatte sich auf ihrer Lieblingswolke zurückgezogen, um nachzudenken. Normalerweise wehte dort immer ein frisches Lüftchen, aber heute war es hier wie in einem Backofen. Ihre sonst so wild abstehenden Locken, hingen schon nach kurzer Zeit feucht und schwer herab. „Was für eine Hitze. Ab Morgen sind Sommerferien und ich sitze hier fest. Immer darf ich nur zu Weihnachten los. Ich möchte auch mal im Sommer was erleben. Eis essen, Schwimmen gehen, meine Freunde treffen, an lauen Abenden am Lagerfeuer sitzen und was die Menschen Bowle nennen, trinken.
  2. Ein mächtiger Gongschlag holte Mimi aus ihren Überlegungen. Gleich ist     Zeugnisverteilung und dann hatte sie gar keine Möglichkeiten mehr etwas zu organisieren. „Ich brauche einen Plan. Am besten stelle ich einen Antrag.“ Im Laufschritt, um noch etwas Zeit herauszuholen, schnellte sie in das Klassenzimmer, nahm sich ein Blatt Papier aus ihrem Schreibpult und begann zu schreiben.
  3. „Mimi Sternenstaub, jetzt ist es etwas zu spät, um deinen Notenspiegel noch aufzubessern. Obwohl es dieser wahrhaftig nötig hätte. Hier ist dein Zeugnis. “ Wanja Leuchtfeuer klatschte das schwere Dokument vor Mimi auf den Tisch, so dass diese die Noten ablesen konnte.
  4. Bestimmung der Erdumdrehung – geht so
    Wolkenkunde – fast gut
    Windrichtungsbestimmung – geht so
    Theorie der Schutzengelkunde – miserabel
    Praxis der Schutzengelkunde – richtig gut
    Chorgesang – gut
    Fliegen in der Formation – miserabel
    Sozialkompetenz:
    Mimi Sternenstaub kann sich nicht unterordnen und hält sich nur selten an die himmlischen Regeln. Bei jeder Gelegenheit drückt sie sich vor jeder Art von Tätigkeit. Eine zusätzliche erzieherische Maßnahme in den großen Sommerferien ist dringend anzuraten.
  5. Mimi traute ihren Augen nicht, als sie die Noten durchsah und die Beurteilung gelesen hatte. „Oh nein, das ist ja noch schlimmer als befürchtet.“ „Das kann man wohl laut sagen. Du kannst dich gleich in der Küche melden. Klavitta Vierzack weiß Bescheid. Die Küchengroßmeisterin freut sich schon auf dich.“ Der gehässige Unterton ihrer Lehrerin, wurde nur noch von ihrem süffisanten Lächeln getoppt.
  6. Leise packte Mimi, unter den mitleidigen Blicken, ihrer Klassenkameraden ihre Sachen zusammen und schlich aus dem Klassenraum. „Was soll ich jetzt nur machen?“ Ich wollte doch Muk und Frido besuchen und schauen, ob sie unser Weihnachtsabenteuer gut überstanden haben.“ Tränenblind lief Mimi um die nächste Ecke und rannte gegen eine große Gestalt. „Ah, Mimi. Dich habe ich gesucht.“
  7. Petrus schaute auf den kleinen Engel herab, der aussah als würde er sich am liebsten in Luft auflösen. Na na, wer wird denn da so betrübt sein. Ich wollte dir sagen, dass ich deinen Antrag zur Überprüfung des letzten Weihnachtseinsatzes, im Rahmen der praktischen Schutzengelfunktion, genehmigt habe. „Aber woher…?“ „Woher ich davon weiß? Ich bin Petrus. Ich weiß alles. Somit auch, dass deine Freunde gerade in ihr nächstes Abenteuer rutschen. Also los jetzt. Ab mit dir.“
  8. Das ließ sich Mimi nicht zweimal sagen. Vergessen war das schlechte Zeugnis. Vergessen der drohende Küchendienst. Sie hatte gerade die oberste Wolkenschicht durchflogen, als sie die laute, empörte Stimme ihrer Lehrerin hörte. „Was heißt hier Überprüfung des letzten praktischen Einsatzes. Ich protest…..!“ Mehr konnte Mimi nicht mehr hören. Sie war schon zu weit entfernt, auf dem Weg zur Erde und zu ihren Freunden.
  9. Diese hatten sich unter ihrem Lieblingsapfelbaum, mit dem immer gefüllten Futterhäuschen, verabredet. Frido, die Krähe war wie immer der Erste und sicherte das Terrain. Er war schon mehre Runden geflogen, war von Ast zu Ast gehüpft. Hatte die umliegenden Büsche inspiziert und die Beete abgeschritten. Nichts Beunruhigendes war zu finden. Trotzdem war er etwas in Sorge. In den letzten Tagen war des Öfteren ein Sperber gesichtet worden.
  10. Als Muk langsam um die Ecke geschlendert kam, sah er Frido im Paradeschritt unter dem Baum hin und her marschieren. Moin Frido, ist das nicht ein schönes Wetter heute? Sorry, ich glaube ich bin ein Moment zu spät. Ich habe die Wolken betrachtet und die Zeit vergessen.“
  11. „Einen Moment? Ich komme bald um vor Sorge. Es ist ein Raubvogel gesichtet worden. Ich warte schon eine Ewigkeit. Immer warte ich eine Ewigkeit auf dich. Du bist echt der langsamste Igel, den ich kenne.“ „Ich bin der einzige Igel, den du kennst und ich entschuldige mich. Die Welt ist so spannend. Es gibt so viel zu sehen und zu probieren und zu erschnüffeln.“
  12. Frido konnte über soviel Naivität nur mit dem Kopf schütteln. Tief in Gedanken versunken, wie er seinem Freund klarmachen konnte, dass die Welt auch gefährlich war, bemerkte er nicht, wie sich die Stimmung veränderte. Es war plötzlich totenstill. Kein Vogel zwitscherte, kein Pfeifen war zu hören, kein Trällern. Alarmiert riss Frido den Kopf hoch, als er einen Schatten über Muk sah und ein Rauschen vernahm. „Muk! Achtung, Angriff!“
  13. Mimi hatte sich den ganzen Weg über gefreut die beiden Freunde zu treffen. „Die werden Augen machen, wenn ich plötzlich vor ihnen stehe. Ich bin mal gespannt wie groß Muk inzwischen geworden ist. Heute könnte ich ihn bestimmt nicht mehr durch die Nacht tragen. Ob die Beiden sich wohl im Frühjahr gefunden haben? Aber wie ich Frido kenne, hat er solange die Gegend abgesucht, bis er Muk aufgespürt hat. Mm, wenn mich mein Orientierungssinn nicht im Stich gelassen hat, muss ich gleich da sein. Nanu, was ist denn da für ein Geschrei?“
  14. Schon von weitem konnte sie das ganze Drama überblicken. Ein kleiner Igel hatte sich eingerollte. Neben ihm saß ein Sperber und duckte sich unter den Angriffen einer wildgewordenen Krähe hinweg. „Das ist Frido, oh nein und der kleine Igel, dass ist Muk. Mein Muk. Er wird angegriffen. Ich komme zu spät.“
  15. Mimi mochte gar nicht hinschauen. Da sie aber direkt drauf zusteuerte, blieb ihr gar nichts anderes übrig, als zu sehen, dass Muk sich inzwischen wieder entrollt hatte und auf den Raubvogel zulief. Mimi hätte sich gerne, vor Verzweiflung die Haare gerauft, aber das ging während des Anfluges nicht. „Was machst du denn? Bleib zusammengerollt. Ich bin gleich da!“
  16. Zusammen mit Frido landete sie genau neben Muk und traute ihren Ohren nicht. „Du musst nicht traurig sein, kleiner Sperber.“ Die beruhigende Stimme von Muk schien auch den jungen Raubvogel zu erreichen, denn sein Schluchzen wurde von mal zu mal leiser. „Tut mir leid Kumpel. Ich dachte mein Freund Muk hier, wäre dein Nachmittagssnack. Normalerweise bin ich eine echt nette Krähe. Ich bin Frido und wer bist du?“
  17. „Ich heiße Samanta. Wie ihr seht bin ich ein Raubvogel. Von mir wird also erwartet, dass ich gemein bin, kleine Vögel oder anderes Getier töte und meinen Mann bzw. Frau stehe. Aber so bin ich nicht. War ich noch nie. Ich mag kein Fleisch. Meine Eltern haben alles versucht, mir die „Leckerbissen“ schmackhaft zu machen. Aber es geht nicht, ich finde den Geschmack einfach nur ekelig.“
  18. „Bist du wegen der Futterstelle hier unter dem Baum gelandet?“ Muk hatte sogleich kombiniert. „Ja, hier ist der einzige Platz weit und breit, wo auch im Sommer immer Futter ausliegt. In das Häuschen passe ich zwar nicht rein, aber es liegt immer genug unten auf dem Boden. Die kleinen Vögel schieben immer viel über den Rand. Ich würde mich dafür auch gerne bedanken, aber wenn ich auftauche, kreischen allen und fliegen weg und ich bin wieder allein.“
  19. „Das ist ja schrecklich. Allein sein ist so fürchterlich, stimmts Muk? Hallo Samanta. Ich bin Mimi, eine Freundin von Muk und Frido. Hallo Jungs, schön euch zu sehen.  Mimi hatte sich bis jetzt nicht eingeschaltet, obwohl sie etwas enttäuscht war, dass die Freunde sie nicht mal begrüßt hatten, sondern nur zugehörten, was Samanta zu berichten hatte.
  20. „Ja, Einsamkeit ist grausam. Muk sagte es ganz leise in die Stille hinein, die sich nach Samantas Worten gebildet hat. „Ich weiß, wovon du sprichst.“ Frido wusste sofort, dass Muk sich an den letzten Winter erinnerte, an dem er ihn halb erfroren gefunden hatte.“ „Aber nun hast du ja uns. Samanta, wir kümmern uns um dich. Obwohl ich zugeben muss, dass es mit Mimi einfacher wäre.“
  21. Mimi, die genau neben Frido stand, blieb fast die Luft weg. „Hallo, was redest du denn da. Ich bin doch hier. Direkt neben dir. Sieh doch genau hin!“ „Wer ist Mimi?“ Samanta blickte sich suchend um. Mimi Sternenstaub, unsere Freundin. Sie ist ein Engel und kommt daher nur an Weihnachten.“ Fridos Stimme klang bedauert, aber auch wie eine Tatsache.
  22. Mimis Entsetzen war grenzenlos und die Tränen kullerten nur so über ihre Wangen. Kein Gedanke war mehr übrig für Eis essen, für schwimmen gehen oder für irgendwelche exotischen Getränke. Aber ihre Freunde, die waren ihr wichtig. Mit denen wollte sie zusammen sein. Und diese sahen sie nicht. Einsamkeit machte sich in ihr breit und abgrundtiefe Traurigkeit.
  23. „Wo ist denn dein Glaube geblieben?“ Muk war blitzschnell auf Frido zugeschossen. „Mimi hilft doch nicht nur zu Weihnachten. Es gibt doch das ganze Jahr Not auf der Welt.“ „Äh, kann mir mal jemand erklären was ein Engel ist?“ Samanta hatte das Gespräch verfolgt und schaute nun von Frido zu Muk, der auch gleich antwortete. „Ein Engel ist ein himmlisches Wesen, dass Hilfe und Schutz bietet und ich glaube ganz fest daran, dass Mimi kommt, wenn wir rufen.“
  24. “Ihr braucht nicht rufen, ich bin hier. Ich war die ganze Zeit hier, aber ohne Glauben ist kein Engel auf der Welt zu sehen.“ Nur einen Moment war es still, dann brach ohrenbetäubender Jubel aus. Alle redete durcheinander und erzählten ihre Geschichten bis tief in die Nacht hinein.

    Und wenn Ihr mal einen Igel, eine Krähe und einen Sperber unter einem Apfelbaum sitzen seht, dann wisst ihr ja, was ihr tun müsst, um auch Mimi zu erkennen.

    Frohe Weihnachten