Adventskalendergeschichte

Hope

  1. Mimi Sternenstaub, Engel 123 genannt, hatte ein paar Minuten die Augen geschlossen, da klopfte es an der Tür. „Herr Gott noch ein mal, was ist denn nun schon wieder.“ Erschrocken schaute sie sich um. Kein Blitz, nirgends ein göttlicher Donner. Vorsichtshalber schlug Mimi schnell ein Kreuz, „Entschuldigung, war nicht so gemeint.“
  2. Leise schlich sie zur Tür, die knall pinkfarbenen Socken leuchteten, lustig unter ihrem weißen Engels Gewand hervor. Der Heiligenschein rutschte leicht nach vorne und drückte die blonde Lockenpracht vor die Augen. Sie lugte durch das Schlüsselloch. „Nichts zu sehen. Komisch. Vielleicht habe ich nur geträumt.“
  3. „Was für ein Tag.“ Die Aufgabe hatte sie sich leichter vorgestellt. Weniger zeitintensiv. „Nun gehts ja los. Ich hör schon Gespenster. Das muss an der Müdigkeit liegen.“ Schleppend mit geschlossenen Augen setzte sie sich in ihren Sessel und kicherte bald leise vor sich hin. Sie erinnerte sich, wie alles angefangen hatte.
  4. „Er hat mich ausgewählt.“ Laut jubelnd rannte Mimi auf ihre Freundin Mia zu, umarmte sie und drehte sie wild im Kreis. „Hallo Mimi, auch schön dich zu sehen. Ja mir geht es auch gut.“ Lachte Mia, nachdem sie endlich zum Stehen kam. „Wer hat dich ausgewählt und vor allem wofür?“ „Petrus. Er hat gesagt, ich bin genau die Richte. Obwohl, die alte Leuchtfeuer, die ganze Zeit dagegen war. Die traut mir nichts zu.“
  5. „Soso, hat dich deine Lehrerin mal wieder geärgert.“ Mias gutmütiges Gespöttel überhörte Mimi vollkommen. „Sie ist die blödeste Lehrerin for ever. Nie kann ich es ihr recht machen.“ „Ja, du hast recht. Wanja Leuchtfeuer ist schon sehr speziell und nicht gerade für ihre Geduld bekannt. Da leidest du natürlich sehr. Wo du doch immer so gehorsam bist.“ Griente Mia Morgenstern und zog eine Augenbraue hoch.
  6. „Nun erzähl aber endlich. Was darfst du machen?“ „Ich habe die Aufgabe, auf einen jungen Stern aufzupassen. Er nennt sich Hope. Petrus sagt, es ist wichtig, dass er nicht verloren geht.“ Mimis strahlendes Gesicht bekam einen träumerischen Ausdruck. „Ich stell mir das so vor. Ich gehe mit dem kleinen Kerlchen spazieren oder lese ihm etwas vor. Vielleicht mag er auch Lieder, dann könnte ich mit ihm singen. Das wird bestimmt großartig.“
  7. „Aha, und abends nimmst du ihn mit ins Bett?“ Lachte Mia lauthals los. „Ja, vielleicht? Warum fragst du?“ „Mimi, hast du schon mal einen Stern gesehen?“ „Na klar, ganz oft.“ „Beschreib doch mal.“  „Er ist klein. Hat viele Zacken. Wieviel weiß ich gerade nicht, aber ich denke auf zweien kann er laufen, zwei sind sozusagen die Arme und na ja dann halt der Rest als Kopf. Ach ja, und er strahlt ganz hell.“
  8. Zufrieden mit ihren Darlegungen wartete sie auf Mias Reaktion. Diese steht mit offenem Mund vor ihr, bläst ihre Backen auf und lässt die angehaltene Luft prustend entweichen. Ein leichtes Zucken ist an den Mundwinkeln zu erkennen. „Ist was mit dir?“ So ein zögerliches Verhalten kannte Mimi gar nicht von ihrer Freundin.
  9. „Na ja, was du beschreibst ist ein Weihnachtskeks. Dein Stern Hope ist ein Himmelskörper, sozusagen eine Kugel aus Gas. Er ist schon sehr alt, aber für einen Stern noch klein. Ist ein Protostern, man könnte auch Kinderstern sagen. Und er ist super heiß. Das erklärt, dass er auch leuchtet. Das entscheidende ist, er ist am Himmel. Also im Weltall.“
  10. „Mm.“ Mimi schluckte und zog eine Grimasse. Wie ein Luftballon zerplatze ihr Traum von einem Babysitter für kleine Sterne. „Mm, vom Weltall hatte Petrus auch gesprochen. Wenn ich nur aufgepasst hätte.“ Einen Moment schaute sie etwas ratlos vor sich hin. Seufzte drei Mal. Setzte sich dann auf und zwinkerte Mia zu. „Ach was, das schaff ich schon. Ich habe gerade eine prima Idee.“
  11. Die Erinnerungen lösten sich im Nebel auf und Mimis Kopf sank langsam nach vorne. „Nur ein paar Minuten“, nuschelte sie schon halb schlafend. Da klopfte es erneut. Dieses Mal so laut und energisch, dass sie hellwach wie ein Blitz aus dem Sitz hochschoss und im selben Augenblick ihre Zimmertür aufriss. „Was?!“
  12. „Oh“, entwich es ihr. Vor ihr stand Wanja Leuchtfeuer. Ihr zorngerötetes Gesicht passte zu ihrem Namen, wie die Faust aufs Auge. Die sonst so korrekte Frisur, ein kunstvoll gestalteter Dutt, war in Auflösung geraten und die einzelnen Strähnen standen kreuz und quer in jede Richtung.
  13. „Mimi Sternenstaub!“ „Ich habe es gleich gesagt. Es ist wie immer. Eins sage ich dir. Dieses Mal kommst du nicht wieder davon. Keinerlei Weichspülprogramm für ungehorsame Engel. Kein Aber oder Abenteuer. Es reicht. Petrus hat sich getäuscht und bald hast du hier nicht einen Fürsprecher mehr. Er wird endlich erkennen, dass dir Disziplin fehlt.“
  14. „Was….?“ Weiter kam Mimi nicht, da hatte die Lehrerin schon Luft geholt. „Sieh hoch zum Himmel.“ Mit dem Zeigefinger zur Decke zeigend, setzte sie ihre Tiraden fort. „Kannst du irgendetwas entdecken? Ein Licht? Ein funkeln? Auch nur einen kleinen Schimmer? Nein? Kein Wunder! Er ist weg! Erloschen.“
  15. Das Gesicht der Lehrerin wurde mit jedem Wort bleicher und ihre Stimme schriller. „Du hast ihn verloren.“ Erschöpft und zitternd lehnte sie sich an die Wand. Mimis Herz krampfte sich sofort zusammen und ließ ihr Gesichtchen zu einer Maske erstarren.
  16. „ Aber…“ „Ach, was soll jetzt werden. Was soll auf der Erde mit den Menschen werden. Hope sollte für sie ein Wegweiser sein.“ Mimi war einiges an Beschimpfungen gewöhnt, doch diese Erschütterung in der Stimme ihrer sonst immer so harschen Lehrerin, beunruhigte sie. Sie hatte sie Mimi genannt. Das war in den ganzen Jahren nicht geschehen.
  17. „Aber…..“ „Ja.“ Wanja Leuchtfeuer hob ihre Hand, um ihre Schülerin zu unterbrechen. „Du hast aufgepasst und dir Mühe gegeben. Das glaube ich dir sogar. Doch die Zeit ist kurzlebig. Die alten Überlieferungen zählen nicht mehr. Die Menschheit ist zerrissen und schwach. Sie benötigt etwas Neues. Ein Symbol, welches ihnen wieder Mut macht. Was ihre Hoffnung schürt.“
  18. „Aber…“ versuchte es Mimi erneut. Kraftlos ließ der ältere Engel den Arm sinken und schloss die Augen. „Die Menschen haben ihre Zuversicht verloren.“  Mimi legte vor Schreck eine Hand auf den Mund. Wenn das stimmt, wäre es eine Katastrophe. Nein. Da hatte sie eindeutig etwas falsch verstanden.
  19. Mühsam aufrecht stehend sprach die alte Lehrerin weiter. „Weißt du, es gab schon immer schreckliche Zeiten. Doch war die Hilfsbereitschaft früher größer. Es gab nichts. Viele froren und hungerten. Im Laufe der Jahre wurde es besser. Leider veränderte sich die Gesellschaft. Die Menschen vergessen so schnell. Der Einzelne wurde bald egoistischer.“
  20. „Aber es gibt doch auch andere. Und was ist mit den Kindern.“ Mimi hatte ihre Erzieherin vorsichtig am Arm gefasst und zu dem Sessel geführt. Sie schien gar nicht zuzuhören. „Ich kenne die Menschen. Leider. Jeder kann alles und weis noch mehr. Vor allem besser.“ Der kleine Engel hörte deutlich die Enttäuschung in der Stimme ihrer Lehrkraft und das weckte ihr Mitgefühl.
  21. „Ich…“ „Lass mal Mimi.“ Langsam stemmte sich Wanja Leuchtfeuer aus dem Sessel hoch. „Ich gehe jetzt und informiere die himmlische Leitung über dieses Desaster. Du kannst im Grunde genommen nichts dafür. Du bist halt einfach das falsche Kind, bzw. Engel für die Aufgabe gewesen.“ „Aber hören sie doch.“ Mitten in Mimis Erklärungsversuch wurde die Tür aufgerissen.
  22. „Ich brauch mal eine Pause. Oh, Frau Leuchtfeuer, was machen sie denn hier.“ Mit einem breiten Lächeln begrüßte Mia ihre alte Erzieherin. „Wollten sie Mimi besuchen und ihr dafür gratulieren, dass alles so gut funktioniert?“ „Wie soll ich das verstehen? Was funktioniert?“ Das Gesicht von der Lehrkraft nahm schon wieder eine gefährlich rote Färbung an. „Mimi Sternenstaub, was hat das zu bedeuten?“
  23. „Ich habe Mia gefragt, ob sie mir helfen würde. Petrus meinte dann auch, dass das eine gute Idee wäre, wo doch die Wolken so einen kleinen Stern oft verdecken. Nicht das noch jemand denkt, er wäre verloschen.“ „Oh,“ Wanja Leuchtfeuer schaute für einen Moment wie ein Fisch auf dem Trocknen, bevor sie ein kurzes „Na, dann ist ja alles gut,“ krächzte.
  24. „Da kann ich nur zustimmen.“ Laut ertönte die Stimme von Petrus, der leise den Raum betrat. Zufrieden klatsche er in beide Hände und legte sie auf seinen runden Bauch. „Kommt Kinder, lasst uns ein Plätzchen in der Küche suchen. Belinda Zuckerschnute, die neue Köchin, hat schon die ersten Krapfen fertig. Er hielt der nachdenklich schauenden Wanja Leuchtfeuer elegant seinen Arm hin. „Kopf hoch. Die Kuh ist vom Eis. So sagt man wohl auf Erden. Nun kann es Weihnachten werden.“