Schuld

 

Moin und Hallo

Schön, dass ihr wieder vorbeischaut. Manche Geschichten lassen mich nicht los. Da gibt es Spielraum für neue Ideen. Ein Beispiel dafür ist der folgende Beitrag. Wenn ihr länger auf dieser Seite unterwegs seid, erinnert ihr euch vielleicht an einen Blogbeitrag im Juli 2023 unter dem Titel „Ben“. Schaut gerne zur Auffrischung im Archiv.

 
Beim Erwachen war es dunkel. Stockdunkel. So eine Schwärze kannte ich nicht. Vorsichtig befühlte ich mein Gesicht. Augen, Nase, Mund. Alles war frei. Kein Tuch oder sonstiger Gegenstand bedeckte mich. Nur… Ich sah …  Nichts. Tief durchatmend versuchte ich der aufsteigenden Panik Herr zu werden. Konzentriert suchte ich im Körper nach einem Schmerz. Es gab keinen. Mein Herz schlug laut und wild in der Brust. Ich lauschte. Um mich herum, totenstille und Dunkelheit. Langsam wanderten die Hände weiter. Ich lag auf einer harten Unterlage. War es Holz? Eine Pritsche oder gar ein Sarg? Wie kam man nur auf solch eine Idee? Eine Gänsehaut ließ die Härchen am Körper emporstehen, dass es schmerzte.

Mühsam setzte ich mich auf. Mein Kopf dröhnte. Müde und benommen kreisten die Gedanken. „Wie war ich hierhergekommen? Denk nach. Komm schon. Du warst im Zirkus.“ Nichts. Keine Erinnerung. Übelkeit stieg in mir auf und der aufkommende Schluchzer war laut wie ein Knall.

„Na endlich. Wurde Zeit, dass du wach wirst.“ Die Stimme war kalt und kam wie aus dem Nichts.

Ein Ruck durchfuhr mich. „Hallo?“ Stille. „Ist da wer? Ich habe solch einen Durst.“ Die Worte waren nur ein Flüstern. War es real oder eine Einbildung.

Es gab keine Sicherheit. Seit damals nicht mehr. Nur Zweifel. Niemand hörte mir zu. Egal wie oft ich das Thema ansprach. Alle hielten mich für eine einsame Frau, die sich eine Geschichte ausgedacht hatte.

Das Geräusch neben mir löschte meiner Erinnerung. „Hier.“ Die Stimme war nah und etwas berührte mich am Arm. Ich griff zu und hatte eine Flasche in der Hand. Vorsichtig trank ich einen kleinen Schluck. Es schmeckte köstlich. Nie hatte Wasser so frisch und wohltuend geschmeckt.

„Du hast mich nicht erkannt? Oder?“ Die Stimme war klar und schneidernd, mit einem Hauch von Traurigkeit.

Ich atme langsam aus. „Was hatte er gefragt?“ Meine Gedanken wanderten dem kleinen Wanderzirkus. Vor der Manege stand ein Mann und starrte mich an. Irgendetwas an ihm kam mir bekannt vor. Seine Augen. Dieselbe Farbe. „Das ist nicht möglich.“ Meine Worte waren nur ein Hauchen. „Ben?“

„Ist der Groschen endlich gefallen?“ Seine Stimme triefte vor Gehässigkeit. „Ben? Das war ich einmal. Vor einer Ewigkeit. Bevor du mich im Stich gelassen hast.“ Er jaulte regelrecht. „Vor der Zeit, in der ich zum Stricher wurde. Wo Stecher oder Fummler mein Vorname wurde und alte Säcke sich an mir rieben. Ich wurde vermietet und verkauft. Es gibt keinen Ben mehr.“ Seine Stimme überschlug sich in hohen und schrillen Tönen.

Die Erinnerung an den damaligen Abend kam mit Macht. Das Unwetter, die Angst. „Er sagte, du bist verschwunden. So half ich bei der Suche. Sie dauerte die ganze Nacht, bis wir dich endlich in einer kleinen Hütte fanden. Aber zu spät. Es war schrecklich. Dein Blick.“ Meine Kehle schnürte sich zusammen und nahm mir für einen Moment die Stimme. „Ich saß eine Ewigkeit neben dir und versuchte, die Starre zu lösen. Dann kam die Müdigkeit. Beim Aufwachen warst du fort.“

„Ausreden“, zischte er. „Du hast geschlafen und mich ihm dadurch erneut ausgeliefert. Ich hatte geschafft, ihm zu entkommen. Das hat er mir nie verziehen. Mein Leben war die Hölle, selbst nach seinem Tod. Es existiert keine Befreiung. Nie mehr. Die Gedanken sind immer da. Und die Bilder.“ Er weinte. Ich hörte es an der Stimme.

„Es …. tut mir leid“, hauchte ich. Es gab nichts zu sagen. Kein Verzeihen. Nicht einmal Erlösung. Ich vernahm seine Verzweiflung und mit fielen die Augen zu. „Das Wasser“, flüsterte ich und hörte sein lachen.

Erschreckt fuhr ich hoch und lag in meinem Bett. „Was für ein schrecklicher Traum“, murmelte ich vor mich hin und griff nach dem Wasserglas. Der Durst war unangenehm. Ich trank gierig und überlege. „Ben.“ Es war lange her und die Erinnerung schmerzte wie eine alte Narbe.

Ich stand, im Bann des Traumes gefangen auf und stolperte gegen eine Flasche. Sie gehörte mir nicht. Angst stieg den Rücken empor wie ein kalter Strahl. Mit zitternden Händen hob ich sie hoch und entnahm ein Stück Papier. „Du warst die Liebe meines Lebens!“

Das war es für heute. Ich wünsche euch wieder eine schöne Zeit.  

 

 

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