Moin und Hallo
Schön, euch wieder dabei zu haben.
Es gibt Zeiten im Leben, da läuft man einfach so in seinem Trott. Oft in schwierigen Lebenssituationen. Es benötigt schon sehr viel Kraft, eine Kursänderung zu starten. Bella im folgenden Text macht sich gerade auf den Weg.
„Du musst dieses Mal allein gehen.“
Bella las die WhatsApp zum wiederholten Male. Ihre Freundin hatte im letzten Moment abgesagt.
Ein kalter Schauer lief Bella den Rücken herab und ließ sie nach Luft schnappen. Wieder ein einsames Wochenende. Der Gedanke war sofort da. Es würden nur noch wenigen Minuten dauern, bis sich eine Maschinerie der Verzweiflung in Gang setzte. Zähne klappern, kalte Hände, Schwindel und zu guter Letzt Kopfschmerzen. Mit der Gewissheit, dass Fridas Absage gar nicht das Thema war, sondern das es ihre eigene Unsicherheit, ihr eigenes Unvermögen war, was sie immer wieder ausbremste. Sie erkannte die ersten Anzeichen einer Panikattacke.
Schloss kurz ihre Augen, um sie im nächsten Augenblick wieder aufzureißen und mit dem Fuß aufzustampfen.
„Heute nicht“, stieß sie zwischen den Zähnen hervor.
Einer Flucht gleichend schnappte sie ihr Handy und den Rucksack und stürmte aus der Wohnung. „Ich gehe jetzt wandern. Allein. Basta.“ Mit zorniger Bockigkeit jagte sie zur Bushaltestelle. „Nur nicht stehen bleiben.“ Mantra mäßig den Satz vor sich hin murmelnd versuchte sie ihre aufkommenden Gedanken in Schach zu halten. Was ist, wenn ich mich verlaufe oder stürze und mich verletze. Wie erwartet sah sie das Szenarium regelrecht vor sich. Sie lag mit zerschundenen Gliedern auf einem Geröllfeld.
„Gib es auf. Das schaffst du sowieso nicht.“ Ein bekanntes Teufelchen auf ihrer Schulter kicherte so laut, dass sich Bella fragte, ob es anderen Menschen auch hören würden. Sie sah sich um.
Scheinbar nicht. Die Gruppe an der Bushaltestelle diskutierte gerade, wo der beste Einstieg für ihre Tour war. Die Normalität und das Miteinander dieser fremden Menschen holten Bella aus ihrem Tunnel.
„Gehörst du auch zu der Pichler Tour?“ Eine Frau hatte sich Bella genähert.
„Nein, ich bin heute Einzelläufer.“ Der Satz hörte sich in Bellas Ohren ungewohnt an. Aber auch irgendwie gut. „Ganz schön mutig“ kam es von der Frau. „Das würde ich mich nicht trauen.“
„Hat sich so ergeben“, erwiderte Bella und ihr Herz schlug bis zum Hals. Sie kam sich wie eine Betrügerin vor. Aber auf keinen Fall wollte sie zugeben, dass sie schon seit Ewigkeiten nichts mehr allein unternommen hatte. Das sie sich in den letzten Jahren immer mehr in Abhängigkeiten manövriert und sich bequem zurückgelehnt hatte. Nichts entscheiden kann auch von Vorteil sein. Aber nur scheinbar und es ist eine Sackgasse. Da muss ich dringend mal etwas dran ändern, nahm sich Bella nun im Stillen vor.
Ihre Gedanken wurden durch eine aufkommende Unruhe unter den Wartenden unterbrochen. Der Bus kam. Die Plätze waren schnell eingenommen und die Diskussion, welche Wanderapp die beste sei, erfüllte den Raum.
Bella durchfuhr es heiß. Sie hatte keine. Einen Moment überlegte sie, ob sie die anderen Wanderer fragen sollte, wie sie herankäme. Aber die Blöße wollte sie sich nicht geben.
„Mutig“ hatte sich so gut angehört. Das hatte schon lange keiner mehr zu ihr gesagt. Nicht einmal sie selbst.
Die Fahrt war kurz und ehe sie sich versah, waren alle ausgestiegenen und hatten ihr viel Spaß gewünscht.
Ihren ersten Impuls, sich einfach anzuschließen oder hinterherzulaufen, verwarf sie. Mutig, das Wort kam ihr wieder in den Sinn. Klang ein bisschen wie Abenteuer.
So war sie erst zögerlich und dann zu schnell gelaufen. Nervös hatte sie falsch geatmet und nicht recht auf den Weg geachtet. Nun stand sie schnaufend mit Seitenstechen im Irgendwo. Ihr Herz klopfte laut. Einatmen, Ausatmen. Kam die Panik? Warten. Lauschen. Nein, noch mal gut gegangen. Erleichtert blieb sie noch einen Augenblick stehen.
Um sie herum war wunderbares Vogelgezwitscher und die Luft roch herrlich nach, ja wo nach? Würzig und Freiheit. Der Wind ließ die Blätter hoch in den Bäumen rauschen. In der Ferne konnte sie Stimmen vernehmen. Kurz spürte sie das unangenehme Gefühl der Unsicherheit in ihrer Magengegend. Ob das die lustige Truppe war? Hoffentlich. Sie stand hier mutterseelenallein auf weiter Flur.
„Na Bella, ist ja nicht weit her mit deinem Mut.“ Das Teufelchen auf ihre Schulter kicherte schon wieder.
Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten, aber was sollte das bringen. Den eigenen Ängsten muss man sich stellen oder sie akzeptieren. Sie überlegte kurz, ob sie nicht doch besser mit den anderen gegangen wäre. Aber nein. Heute wollte sie mutig sein. Hier und jetzt war sie genau richtig.
An der nächsten Biegung standen eine Vielzahl von Schildern und zeigten die einzelnen Touren auf. Für sie ging es weiter gerade aus. Bald hatte sich ein Laufrhythmus eingestellt. Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas habe, staunte Bella über sich selbst und folgte dem angezeigten Weg.
Wie im Leben gab es an jeder Biegung etwas zu entdecken. Zum ersten Mal seit langem nahm sie sich Zeit. Nur für sich. Und wurde ruhiger. Gewöhnte sich an ihre Umgebung, an die Geräusche. Erkannte das nicht bei jedem Knacken etwas Schreckliches folgen musste. Ständige Angst aber Folgen hatte. So ließ sie die Gedanken kommen und gehen, ähnlich den Wolken, die über ihr entlang zogen.
Schritt über den mit Wurzel durchsetzen Waldboden. Registrierte ihre Sorge über einen Sturz und ging trotzdem weiter. Mutig war ihr neues Mantra für die Zukunft. Sie bestaunte die verschiedenen Formen und Farben der einzelnen Bäume und Blätter. Manche Waldfrucht lag am Boden und knackte unter ihren Füßen und entfaltete dabei den typischen Geruch von Kastanien, Eicheln oder Bucheckern.
An der nächsten Biegung standen wieder Schilder. Ihres war nicht dabei. Die Unruhe überfiel sie wie ein Ungeheuer aus der Tiefe. Das Gedankenkarussell begann sich zu drehen.
Ich habe mich verlaufen. Was mache ich denn nun?
Hitze stieg in ihr auf und sie spürte den Kragen ihres T-Shirts, der an ihrer Kehle drückte. Sie zog daran und atmete. Erst hastig, dann kräftiger und befreiend. Ihr Blick wurde wieder klarer und fiel erneut auf die Beschilderung. Ihr Wegweiser hatte sich gelockert und war etwas abgerutscht, daher hatte sie ihn übersehen. Fast hätte sie vor Erleichterung hysterisch aufgelacht.
„Man Bella mit dem mutig seine müssen wir aber noch üben“, murmelte sie ihrem Teufelchen zuvorkommend vor sich hin und folgte weiter dem Weg, der nun breiter wurde. Die Landschaft veränderte sich. Der Wald wurde lichter, der Boden feuchter. Bella ging nun wieder etwas langsamer. Nicht mehr so schwungvoll wie zuvor, aber doch friedlich und rhythmisch. Ihrer Müdigkeit und den Kraftanstrengungen angepasst setzte sie Schritt vor Schritt und ließ den Tag Revue passierend.
Von weitem konnte sie schon den Verkehrslärm erahnen. Bald war ihre Wanderung zu Ende. Vor einer Brücke machte sie halt. In dem Bachlauf tummelten sich kleine Fische.
Bella setzte sich auf eine Bank und beobachte ihr munteres Treiben. Dankbarkeit war das Wort, welches ihr durch den Kopf schoss. Dankbarkeit für die Erkenntnis.
Allein bedeutet nicht einsam.
Bella ist gestartet. Hat sich mutig auf den Weg gemacht. Auf ihren Weg.
Mit ihren Mitteln und Möglichkeiten.
Ein schöner Gedanke. Findet ihr nicht?
Habt wieder eine schöne Zeit.
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