1. Caruso, der eigentlich und mit vollem Namen Carl Rudi Sonntag hieß und der himmlische Postbote war, tanzte mit einer Tasche voller Briefe durch die Krankenstation.
„Moin, Moin, meine Engel ist denn wieder alles klar?“, sang er laut und schief seine Version eines deutschen Schlagers.
Die letzten Töne noch lange anhaltend blieb er vor einem der Betten stehen.
„Mimi Sternenstaub, ich habe dir etwas mitgebracht. Umständlich holte er ein Kuvert aus seiner Tasche und wurde schlagartig schneeweiß im Gesicht.
2. „Hallo Caruso, leg es einfach auf den Nachtschrank. Ich schaue später nach“, nuschelte die Angesprochene und zog ihre Bettdecke noch ein Stück höher. Somit war nur noch das obere Ende der rotblonden Lockenpracht zu sehen.
„Du, Mimi, ich glaube das geht nicht“, stotterte er und hielt das Kuvert vorsichtig an zwei Fingern. „Der Brief ist rot und blinkt ganz heftig.“
3. „Was?“ Mimi sprang mit einem Satz hoch und riss Caruso den Umschlag aus der Hand.
Jeder im Himmel wusste, was rote, blinkende Briefumschläge bedeuteten. Gefahr für Leib und Leben.
„Mia, wach auf!“ An der Bettdecke des Nachbarbettes zerrend hüpfte sie von einem Bein auf das andere.
Mia Morgenstern, ihre beste Freundin schlug langsam und flackernd die Augen auf.
„Geht es um Paul? Ich habe seine Hilferufe gehört. Kannst du mal vorlesen?“
4. Schnaufend begann Mimi.
„Liebe Mimi Sternenstaub,
ich bin Pauls Freundin. Ich hoffe du erinnerst dich an ihn. Er hat mir von eurem Abenteuer letztes Jahr erzählt. Ich habe ihm nicht geglaubt, dass er sogar zwei Engel kennt. Dich und Mia Morgenstern. Wir haben uns darüber gestritten.
Nun ist er verschwunden. Unsere Eltern sind nicht da. Wir haben geflunkert und erzählt wir schliefen jeweils bei dem anderen. Paul will die Artefakte seines verschollenen Großonkels suchen. Ich brauche eure Hilfe.
Liebe Grüße Lela
5. „Boa, dieser Junge.“ Mimi hatte schon ihr Gewand in der Hand. „Wir müssen sofort runter.“
Mia hielt sie am Arm fest. „Wir können nicht los. Dein Flügel ist noch nicht verheilt. Der Kleber ist noch zu frisch und ich bin mit meiner Gehirnerschütterung orientierungslos.“
„So ein Mist Herrgott nochmal. “ Schon beim Ausspruch zog Mimi den Kopf ein und ein gehöriger Donnerschlag ließ nicht lange auf sich warten. „Entschuldigung“, murmelte sie sogleich und setzte sich mit hängenden Schultern auf Mias Bett. „Es ist alles meine Schuld.“
6. Caruso hatte den Schlagaustausch der Beiden verfolgt und sprach nun zögernd dazwischen.
„Was ist denn passiert?“
Mimi räusperte sich lange und Mia griente. „Also, Mimi kann mit Sicherheit nur geradeaus fliegen. Rechts und links sind nicht so ihr Favorit. Das ist beim Formationsflug etwas kontraproduktiv.“
„Lange Rede kurzer Sinn. Wir sind zusammengehauen“, ergänzte Mimi.
„Und nun kurieren wir unsere Blessuren“, lachte Mia nun laut los.
„Autsch“, entfuhr es Caruso. „Und wer ist Paul?“
7. „Ja, Paul,“ Mia holte Luft. „Ein kleiner Junge, nett, hilfsbereit, hat ein Herz für Tiere, bisschen schüchtern und unsicher.“
„Abenteuerlustig, ungeschickt, bringt sich ständig in Schwierigkeiten“, ergänzte Mimi sofort.
„Redet ihr von einer Person?“ Caruso konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Ja“, kam es prompt von beiden.
„Vielleicht kann ich ja helfen“, überlegte Caruso laut.
8. „Du?“, riefen Mimi und Mia unisono. „Du bist Briefträger“, erinnerte Mia ihn. „Auf der Erde ist es gefährlich. Und wie es aussieht, hat Paul mal wieder alle Register gezogen“, knurrte Mimi.
„Ja, stimmt. Ich bin ein Briefträger, aber ich bin auch für ein Abenteuer zu haben und ich habe zwei gesunde Flügel und mit Adressen kennt sich keiner so gut aus wie ich“, trumpfte Caruso nun auf.
9. Wo er Recht hat, hat er Recht. Versuchen wir es“, seufzte Mia.
„Year,“ Caruso stürmte wie ein Läufer in den Startlöchern sofort los. „Ich gehe mich umziehen,“ sang er und war sogleich verschwunden.
„Wieso umziehen.“ Mimi runzelte die Stirn. „Mia, ehrlich. Was gibt es denn da umzuziehen? Er hat doch was an. Mimi schüttelte den Kopf und Mia seufzte erneut.
10. „So, ich bin dann so weit. Wie ist die Adresse?“ Caruso war erstaunlich schnell zurück.
Mimis Augen weiteten sich und sie biss sich schnell auf die Lippen. „Äh, hier,“ übergab sie das Kuvert und blickte auf den Boden. „Sei vorsichtig,“ flüsterte Mia und schlug die Hände vor das Gesicht. „Gib uns Bescheid was los ist,“ rief Mimi Caruso hinterher, der mit einem „Abenteuer, ich komme!“, durch das geöffnete Fenster sprang.
11. Kaum war er entschwunden platzten beide vor Lachen los. „Oh Mann, was wird Lela denken, wenn dieses rosa gekleidete singende Wesen mit diesem Nachttopf, Verzeihung Kriegshelm auf dem Kopf bei ihr ankommt?“ Mia hielt sich den Bauch vor Lachen. Mimi wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Das wird nie was. Ich suche mir einen Heizungsplatz, dann trocknet der Kleber vielleicht schneller.“ „Und ich frage Dr. Krumtiegel wie ich meine Genesung beschleunigen kann,“ kicherte Mia weiter.
12. Caruso war derweilen ganz nach Vorschrift die Milchstraße entlang geflogen, dann noch zwei Mal links und schon war er da. Bevor er klingeln konnte, wurde die Tür aufgerissen. Ein etwa 10-jähriges Mädchen starrte ihn mit offenem Mund an.
„Hallo, ich bin Caruso, deine Hilfe“, sang er schnell. Lela schnappte nach Luft und musterte ihn von oben bis unten. „Du bist also ein Schutzengel. Ich hatte eine andere Vorstellung,“ unterdrückte sie ein Lachen. „Nein, ich bin ein Briefträger“, korrigierte Caruso wahrheitsgemäß und stellte vorsichtshalber den Fuß in die Tür.
13. „Echt jetzt?“ Lela kam sich vor wie im falschen Film. Suchend blickte sie nach links und rechts. „Wo sind Mimi und Mia?“ „Noch auf der Krankenstation, aber dafür haben sie mich geschickt“, strahlt Caruso übers ganze Gesicht. „Einen Briefträger?“ Leilas Gedanken schlugen Kapriolen. Dafür hatte sie einen Brief geschrieben? „Komm schon, lass uns Paul suchen? Ich bin gut im Finden. Darin habe ich Übung.“ Carusos Stimme klang etwas schrill, so ganz ohne Gesang.
14. Geraume Zeit später saßen sie in Pauls Zimmer. Die Durchsuchung der Räume und des Kellers war erfolglos. „Hat Paul denn nicht gesagt, wo er die Artefakte vermutet?“ Caruso hatte inzwischen seinen Helm abgenommen und sein sehr schmutziger Heiligenschein hing schräg auf seinen langen Haaren. Lela schaute zu ihm hoch. Ohne seinen rosa Fluganzug sah er schon eher wie ein Engel aus, fand sie. „Es soll eine Karte geben.“
15. „Sehr gut“, mit geübtem Blick scannte Caruso den Schreibtisch und erblickte sofort eine kleine Papierecke unter einem Buch. „Ha, gefunden.“ Triumphierend zog er das Teil hervor und reichte es Lela.
„Das kenne ich. Das ist der Dachboden und ich weiß auch wie wir da hineinkommen.“ Mit leuchtenden Augen und roten Wangen zog sie Caruso mit sich und blieb am Ende des Zimmers stehen.
16. „Lela, das ist eine Schranktür“, Caruso zog eine Augenbraue hoch. „Stimmt“, lachte sie und trat hinein. Mit einem Druck auf die Rückwand öffnete sich der Eingang zu einer Stiege. „Puh, ist das eng hier.“ Caruso schob sich empor und schnaufte laut vor sich hin. Der Dachboden war klein und mit Möbeln und Kartons vollgestopft. „Schau mal, die Fußspuren dort vor dem Spiegel.“ Caruso deutete auf den Boden. „Ja, aber warum sind das so viele? Paul, was ist dir passiert?“, Leilas Stimme war nur ein Hauchen.