Die Herausforderung

Schön, euch wieder dabei zu haben. Der Sommer hat begonnen. Einen kleinen Vorgeschmack hatte wir letzte Woche. Das Wetter sonnig, die Tage lang. Die ersten Urlaubspläne wurden umgesetzt und manch Abenteuer erdacht. In genau dieser überschwänglichen Stimmung hatte sich Carolina eine besondere Aufgabe ausgesucht.

Aber lest selbst.

Mit jedem Schritt auf das geschlossene Gatter war ich langsamer geworden.
Was hatte ich mir nur bei dieser Aktion gedacht. Wandern mit einem Alpaka.
Ein Wildtier, das aus Peru, Bolivien oder Chile kam, oder zumindest deren Vorfahren. Und das alles, weil der von mir gelesene Artikel so geschrieben war, dass ich sofort loslaufen wollte. Ich hatte alle Bedenken über den Haufen geworden. Meine Angst vor großen Tieren ignoriert.

„Bitte hier warten.“ Den Text am Eingangsgatter hatte ich erst im letzten Augenblick gesehen. Fast wäre ich eingetreten. „Verflixte Nervosität. Beruhige dich“, ermahnte ich mich in Gedanken. „Was soll schon passieren. Die Tiere sind daran gewöhnt, mit den Menschen spazieren zu gehen. Sie lieben es.“ Das hatte das Alpaka mit dem Namen Heinrich begeistert berichtet. Ein Rest Zweifel blieb, aber nun war es eh zu spät. Das Geräusch von zuschlagenden Autotüren und Stimmen sagte mir, dass die anderen Teilnehmer nun eingetroffen waren.
Wie auf Kommando wurde das Gatter geöffnet und eine kleine Frau in derber Kleidung trat hindurch, um es sogleich wieder zu schließen. „Mist, ich hätte gerne schon mal hineingeschaut.“
„Hallo zusammen“, begrüßte sie uns. „Gleich zu Beginn ein paar Regeln. Alpakas sind kein Spielzeug und mögen nicht überfallen werden. Ein langsames Kennenlernen ist das Gebot der Stunde. Wenn sie Zutrauen gefasst haben, ist ein Streicheln oder Abklopfen möglich. Es sind Tiere und die haben ihren eigenen Kopf. Geduld ist gefragt. Ich möchte später nicht erleben, dass einer am Halfter zerrt, nur weil etwas nicht so gut funktioniert.“ Nach diesen Worten durften wir eintreten.

„Na, das war ja mal eine Ansage“, schoss es mir durch den Kopf. Dann erfasste mein Blick die Herde und mir brach der Schweiß aus. Die Alpakas waren schon beachtlich, aber kein Vergleich zu den Riesen daneben. „Lamas? Echt jetzt? Das sind doch die, die immer spucken, wenn ihn irgendetwas nicht passt.“ Alles sträubte sich in mir auch nur einen Schritt weiterzugehen.

Aber keine Chance. Meine Gruppenmitglieder schwatzend fröhlich neben mir und zogen mich regelrecht mit. Aus den Gesprächen hörte ich heraus, dass einige hier schon Erfahrung hatten. Sie steuerten sogleich auf einen großen Tisch zu, der unter einem riesigen Baum stand.
„Bevor wir starten, erzähle ich euch noch etwas von meiner Farm und den hier lebenden Tieren“, begann die Leiterin wieder. „Wandern mit Alpakas ist in den letzten Jahren in Mode gekommen. Leider…“

Ich hatte mich ans äußerste Ende gesetzt. Dort erschien für mich der beste Ort zu sein. Es war die größtmögliche Entfernung zu der Herde, die am anderen Ende in einem offenen Stall stand.
Eine fatale Entscheidung, wie ich nach kurzer Zeit feststellen musste. Die Tiere hatten sich inzwischen neugierig auf den Weg gemacht und liefen dorthin, wo der meiste Platz war. Zu mir.
„Galt nicht zu forsch auftreten auch andersherum? Scheinbar nicht.“
Ich schnappte nach Luft. Eine Gänsehaut krabbelte meinen Rücken hoch und hinterließ einen Juckreiz. Nur nicht bewegen.

Ein riesiges Lama schob sich nah heran und schaute von oben genüsslich etwas zermalmend auf mich herab. „Puh, da möchte ich meine Finger auch nicht zwischen haben.“ Drei Alpakas gesellte sich dazu und starrten mich an. Und nun? Die anderen Teilnehmer fanden es lustig, ich eher nicht. Langsam stieß ich die Luft aus und wartete. Hoffentlich kam nicht der Rest der Truppe auch noch hinterher. Nichts passierte. Okay, Entwarnung.
Ein Vorteil hatte diese Nähe. Ich konnte jedes einzelne Tier genau betrachten.
Sie hatten krumme Zähne und der Haarschopf stand lustig in alle Richtungen. Jedoch hatte jedes Tier ein unterschiedliches Gesicht. Beim längeren Betrachten war auch zu erkennen, wer eher ein Rebell oder ein Ruhepol war.
„Das Jungtier ist erst seit einigen Wochen in der Herde“, hörte ich die Besitzerin dozierte.
Ich betrachtete es. Es war nicht so zutraulich wie meine Miniherde, die inzwischen wieder abgezogen war. Mir war aufgefallen, dass alle von Fliegen regelrecht befallen waren. Vorwiegend im Gesicht. „Die armen Tiere.“ Verwundert stellte ich fest, wie schnell sich doch eine Sichtweise ändern konnte. Eben war die Entfernung nicht groß genug und nun machte ich mir Sorgen um sie. Es war stickig heute. Kein Windzug zu spüren. Paradiesisches Wetter für Krabbeltiere aller Art.

„So, nun habt ihr einen guten Überblick erhalten“, kam es von der Leiterin. „Ich verteile nun etwas Futter an euch und ihn könnt den ersten vorsichtigen Kontakt aufnehmen.“
Alle stürmten gleich los und lockten mit dem Futter. Oje, vor lauter Anspannung und Gedankenkarussell hatte ich wieder mal nicht zugehört. Wie sollte ich die Hand halten und zu wem nicht gehen? Und was hatte es mit dem Regen auf sich? Ich schaute nach rechts und links, um mich zu orientieren. Alle fütterten wild durcheinander. Die Luft war inzwischen zum Schneiden und die Fliegen entpuppten sich als dicke Pferdebremsen, die sich auf alles stützte, was der Nahrungszufuhr diente.

Ich hatte mir einen Ruck gegeben und die Hand vorsichtig vorgestreckt. Finger lang, wie man es bei Pferden macht. Ein älteres Alpaka hatte sich nach einigen misstrauischen Blicken meiner erbarmt und mit einem Zug alles weggesaugt. „Wir beide wären ein gutes Team“, flüsterte ich ihm zu und killte eines dieser Stechbiester, das sich auf meinen Arm gesetzt hatte, mit einem Schlag. Sogleich setzten sich zwei neue hin. „Ihr kommt wohl zu Beerdigung“, knurrte ich wild um mich schlagend. Mein vierbeiniger Freund schlackerte ebenfalls heftig mit den Ohren, um der Plage Herr zu werden.

„So“ hörte ich die Leiterin neben mir um meine Aufmerksamkeit bemüht. „Ich lege nun zusammen mit meiner Assistentin die Halfter an und dann können wir los. Wir gehen gemeinsam.“
Meine Spannung wuchs. Das anfängliche Unbehagen hatte sich von den großen auf die kleinsten Tiere verlagert. Ich wollte nur noch los. Weg von den widerlichen und stechenden Viechern. Weg von diesem Ort, an dem wir lebendig verspeist wurden. Ich bekam das Ende des Halfters übergeben und mein Alpaka lief fröhlich die Führung übernehmend los.

„Na, das funktioniert doch.“ Ich trottete zufrieden nebenher. „Bis zum Gatter konnte ich schon mal gehen. Ich sollte doch eh die Führung abgeben oder nicht?“ Ich versuchte mir die erhaltenen Informationen abzurufen. „Ach ja, auf keinen Fall ziehen.“
Hinter mir hörte ich eine Stimme etwas rufen. „Ob sie mich meinte? Ich konnte jetzt nicht zuhören. Ich musste mich auf meine Aufgabe konzentrieren.“
Ein Windzug fegte über uns hinweg. Mein Alpaka und ich. Eine Gemeinschaft. Wie schön. Und endlich frische Luft. Dann noch ein Windstoß. Die blöden Stechviecher waren wir auch los.
Der Platzregen kam ohne Vorwarnung. Eine Erinnerung aus dem Vortrag bahnte sich den Weg in den jetzigen Moment. „Bei Regen bewegen sich meine Alpakas keinen Schritt mehr.“

Unverhofft kommt oft.
Die Widrigkeiten des Lebens sind unvorhersehbar.
Habt wieder eine schöne Zeit.

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